Was ist das eigentlich? Und wieso gehen die einen an einer Krise zu Grunde und die anderen gestärkter heraus?
Hast du dich schon mal gewundert, wie es sein kann, dass ein und das gleiche kritische Ereignis unterschiedliche Auswirkungen auf Personen hat? Nehmen wir ein aktuelles Beispiel unserer jetzigen Zeit. Die Coronakrise. Ende 2019 wurden die ersten Fälle eines stark ansteckenden Virus bekannt, der sich schnell weltweit ausbreitet und höchst ansteckend ist. Als Folge gab es Lockdown-Bestimmung, Isolation und sich daraus ergebende Veränderungen im Berufs- und Privatleben, sowie (anfangs) definitiv Ängste und Unsicherheiten durch alle Gesellschaftsschichten durch.
Betrachten wir mal in dieser Ausnahmesituation zwei Erwachsene, z. B. Peter und Hans. Wir können sie auch Wilhelm und Sean oder Susanne und Nadine nennen. Die Namen und Geschlechter sind erst einmal total irrelevant. Also Peter und Hans, beide im ähnlichen Alter, sagen wir Mitte 30, unverheiratet, beide führen einen guten Beruf aus, sind erfolgreich in dem, was sie tun, haben ein gesundes soziales Umfeld, und sind im Großen und Ganzen zufrieden mit ihrem Leben. Sie haben Hobbys, Freunde, gehen gerne weg, machen Sport. Alles ganz normal und gut. Dann kommt Corona und damit eine Veränderung, die sie beide unvorbereitet trifft. So wie eigentlich jeden von uns zu dieser Zeit, oder? Also ganz ehrlich, das waren jetzt wirklich ein paar verrückte Jahre, nicht wahr?!
Aber zurück zu unserem Beispiel: Hans und Peter werden mit den ersten Lockdown-Bestimmung und Isolation ins Homeoffice geschickt. Beide leben alleine. Die Isolation macht ihnen am Anfang richtig zu schaffen. Die zuvor gekannten Routinen, in die Arbeit fahren, Kollegen treffen, ins Fitnessstudio gehen, am Wochenende mal ein spontaner Städtetrip – alles auf einmal nicht mehr möglich. Hingegen verbringen sie die meiste Zeit des Tages in ihren Wohnungen, die durchaus gemütlich und ansprechend sind, aber sie schlafen, arbeiten, essen, verbringen praktisch fast den ganzen Tag zu Hause. So war es noch nie. Beide sind eher aktiv und haben eine gute Work-Life-Balance für sich gefunden. Gefühlt ändert sich ihr Leben jedoch von einem Tag auf den anderen von Grund auf. Hinzu kommt die emotionale Unsicherheit zu erkranken, Zukunftsängste, weniger Kontakt zu Freunden, Abgeschiedenheit und eine gewisse Einsamkeit. Beide finden sich wieder in einem inneren Unwohlsein und einem komplett veränderten Alltag. Sie wirken bedrückt, unzufrieden, gestresst. Tatsächlich sind sie beide durch diese Situation in einer Ausnahmesituation, die eine Belastung für Körper und Geist darstellt.
Nach ca. ein, zwei Monaten haben sich beide an die neue Situation ein wenig gewöhnt. Die Meetings über ein Onlineprogramm laufen gut, ihre beruflichen Tätigkeiten erledigen sie wie gewohnt weiter, nur eben nicht mehr aus dem Büro, sondern aus dem Homeoffice aus. Peter leidet aber deutlich unter der Veränderung und der allgegenwärtigen Unsicherheit. Er wünscht sich zurück, in die Zeit, bevor die Pandemie Oberhand über sein Leben nahm. Er vermisst sein Fitnessstudio, die Männernächte mit seinen Freunden, seinen morgendlichen Weg zur Arbeit. Es fällt ihm zunehmend schwerer, abends einzuschlafen, sein Appetit lässt nach. Zwar hat er regen Kontakt mit Freunden und Familie über Telefon und Social Media, aber dieser gibt ihm nicht das gute Gefühl, welches er zuvor hatte. Er bemüht sich, positiv zu denken, überlegt auch, welche Alternativen er zum Fitnessstudio finden kann, welches Buch er als nächstes lesen könnte oder wie er sonst einen Ausgleich zur Arbeit findet. Aber nichts fühlt sich gut oder zufriedenstellend an. Seine Konzentrationsfähigkeit lässt mit der Zeit nach, ihm unterlaufen Fehler bei der Arbeit. Die erhoffte Beförderung klappt nicht. Er wirkt gereizt, ungeduldig, nervös. Er hat das Gefühl, nicht mehr Herr über die Situation zu sein. Er will ja, kann aber nicht – zumindest nicht dauerhaft. Schließlich hat er auch bessere Tage. Neue Motivation, Entschlusskraft, Disziplin. Er kauft sich sogar einen Hometrainer, aber nach zweimaliger Nutzung, verliert er die Lust und das Fitnessgerät verstaubt in der Ecke. Er fühlt sich irgendwie gefangen und gleichzeitig machtlos. Er gewöhnt sich einfach mit der Zeit an sein, wie er es jetzt beschreiben würde, tristes Leben. Es ist nicht mehr wie davor und Peter ist auch nicht mehr wie zuvor.
Und dann Hans. Für Hans ist es anfangs auch richtig schwer, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Auch er vermisst den alten Alltag, seine Routinen, sozialen Kontakte und all die kleinen Dinge, die sein Leben so richtig schön machten. Auch die Unsicherheiten und Ängste, die die Pandemie mit sich bringt, gehen nicht spurlos an ihm vorbei. Emotional ist er manchmal sehr angespannt. Die Homeoffice-Situation hat zwar seine Vorteile, aber er denkt oft an die Kaffeepausen mit Kollegen oder Wochenendausflüge mit Freunden. Die Online-Meetings nerven ihn an manchen Tagen auch. Am liebsten bespricht er informell viele Aufgabenbereiche und Themen mit seinen Kollegen auf dem Gang oder läuft schnell in ihr Büro. All das ist jetzt nicht möglich. Und dennoch möchte er nicht darauf verzichten. Für sein Team lädt er sich eine App herunter, die sie nun alle unabhängig von regulären Meetings für den Teamaustausch nutzen. Nicht ganz das Gleiche, aber fast. Auch für ihn gibt es kein Fitnessstudio mehr, dafür hat er sich aber für eine Online-Sport-Challenge angemeldet und trifft sich jetzt mit Gleichgesinnten jeden Mittwoch online in „seinem Wohnzimmer“ um 18 Uhr. Sein Lieblingsrestaurant hat coronabedingt geschlossen. Für ihn eine Katastrophe! Er liebt doch das Thai-Curry und freut sich schon am Sonntag auf Dienstag, wenn es auf dem Mittagsmenü steht. Was tun? Kurzerhand entschließt er sich dazu, nach Rezepten zu suchen, lässt sich die Zutaten liefern und kocht es selbst. Sein Kochresultat teilt er über Social Media und trifft auf unerwarteten Zuspruch. Nach weiteren 3 Monaten hat er eine neue Routine entwickelt, er kocht sonntags jetzt immer, geht live, teilt es mit Freunden und verbessert seine Kochkünste zunehmend. Tatsächlich spielt er mit dem Gedanken, sich ernsthaft seinen Traum zu erfüllen und ein kleines Café zu eröffnen. Es herrscht immer noch Corona, er prüft dennoch die Bestimmungen und beschäftigt sich mit seinem Businessplan. Sein Leben ist anders, aber nicht unbedingt schlechter.
Was ist passiert? Zwei Männer in ähnlichen Ausgangslagen begegnen der gleichen kritischen Situation in ihrem Leben mit unterschiedlichen Resultaten auf ihr Leben. Dieses Phänomen kommt oft vor. Nicht nur in diesen besonderen, krisenbehafteten Zeiten durch die Pandemie, sondern auch bei anderen kritischen Ereignissen im privaten oder beruflichen Bereich, wie z. B. Arbeitgeberwechsel, Jobverlust, Trennung, Auszug der Kinder oder auch Vorgesetztenwechsel im Büro. Die einen gehen an einer Krise oder Veränderung, die in ihr Leben trifft, (fast) zu Grunde und die anderen gehen gestärkt heraus. Was hat der:die eine, was der:die andere nicht hat?
Höchstwahrscheinlich mehr Resilienz. Resilienz wird im deutschsprachigen Raum als „psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen” definiert. Im Englischen gibt es das Adjektiv „resilient“, welches sich als robust, elastisch oder unverwüstlich übersetzen lässt.
Wenn wir jetzt kurz unsere Fantasie benutzen und uns nun vorstellen, wir wären keine Menschen, sondern eine Zwistel oder Steinschleuder. Und unser Problem, Krise oder Veränderung, der wir uns stellen müssen, wäre der Stein. Und unsere individuelle Resilienz, das wäre der Gummi an der Schleuder. Also, wir legen unser Problem als Stein in den Gummi und ziehen und ziehen und ziehen und ziehen nach hinten, bis wir den Stein zurückschleudern können und das aufgetretene Problem lösen. Je elastischer und stärker der Gummi, umso schneller können wir den Stein mit voller Kraft wegschleudern und uns aus einer unangenehmen Situation befreien. Umgekehrt, je unelastischer oder poröser der Gummi ist, um so schwieriger wird es sein, den Stein, also unser Problem, oder uns selbst aus dem Problem, zu katapultieren.
Resilienz ist eine Charaktereigenschaft, eine Fähigkeit, Herausforderungen und Schwierigkeiten im Berufs- und Privatleben zu begegnen, ohne dass der Gummi ausleiert oder reißt. Wer sich über die Jahre eine gute Resilienz aufgebaut hat, ist in der Lage, Schwierigkeiten leichter zu überwinden und nach einer überstandenen Krise wieder da weiterzumachen, wo er:sie aufgehört hat. Und das Schöne an Resilienz ist, dass es eine angelernte und nicht angeborene Charaktereigenschaft ist. Was bedeutet, dass jede:r sie zu jedem Zeitpunkt in seinem Leben (weiter-) entwickeln kann.